“Wenn Du sitzt, dann sitze,
wenn Du gehst, dann gehe,
wenn Du arbeitest, dann arbeite.
Das ist alles, das ist Zen.”

Zen-Weisheit

Atemwegserkrankungen

Allgemeine Betrachtung

Chronische Erkrankungen der Atmungsorgane, wie chronischer Husten, chronisch obstruktive Bronchitis, Asthma und Dyspnoe nehmen zu, und zwar in jedem Lebensabschnitt. Während noch Anfang bis Mitte des vorigen Jahrhunderts Atemwegserkrankungen wie z.B. Lungenentzündungen, Diphterie und Tuberkulose die durch Keime viraler oder bakterieller Art verursacht wurden, ernsthafte und lebensbedrohliche Ausmaße annahmen, so hat sich diese Situation durch verbesserte Hygiene und die Entwicklung von Antibiotika völlig verändert.

Was sind nun die Ursachen dieser häufigen chronischen Erkrankungen?  Natürlich sucht man nach äußeren Ursachen und wird da meistens auch sehr schnell fündig, denn es gibt genügend Stoffe in unserer Umwelt, welche die Atemwege reizen und beeinträchtigen, angefangen von den eigentlich harmlosen Pollen, die allergisches Asthma auslösen, bis hin zu Emissionen von weniger harmlosen Stoffen, mit denen wir heutzutage leben müssen und damit Tribut zollen an eine hoch entwickelte, moderne und mobile Gesellschaft.
Atemwegserkrankungen und Traditionelle Chinesische Medizin

Die Lunge ist das innere Organ, welches über die Atemwege direkten Kontakt zur Außenwelt hat und somit äußere pathogene Faktoren bzw. Krankheitskeime direkt in sie eindringen und sie schwächen können.

Im Sinne der TCM kann ein Grundstein für spätere Erkrankungen der Atemwege schon im frühen Kindesalter gelegt werden, dann nämlich wenn der noch sehr empfindliche Stoffwechsel des Babys bzw. des Kleinkindes durch falsche Ernährung geschwächt wird.  Die Kinder reagieren mit Infekten der oberen Luftwege auf diese Überlastung und bekommen zur Bekämpfung des Infektes klassischer weise oftmals Antibiotika.  Damit wird der sehr sensible Stoffwechsel noch weiter geschwächt.  Das Auftreten der Infekte fällt meistens noch mit einer Impfung zusammen und danach ist nicht selten das erstmalige Auftreten einer Bronchitis zu beobachten. Leider folgen nach einer Antiobiotika-Gabe auf das erstmalige Auftreten der Erkrankung weitere Rezidive. Das ist folgendermaßen zu erklären:
Milz und Magen, die mit dem Stoffwechsel assoziiert werden, sind – wie schon erwähnt – beim Säugling und Kleinkind noch sehr schwach und entwickeln sich erst im Laufe der ersten Lebensjahre. Die Kinder sind in den ersten Lebensmonaten fast ausschließlich mit Nahrungsaufnahme beschäftigt, allerdings sollte diese idealerweise aus Muttermilch bestehen. Zu frühe feste Nahrung belastet die fragile Milz und es entwickelt sich eine Nahrungsmittelakkumulation, aus der dann wiederum Hitze entsteht, die sich in den erwähnten Infekten ausdrückt. Antibiotika- Gaben behandeln diese Hitze zwar gut, deshalb verschwinden auch die äußeren Zeichen der Erkrankung relativ schnell, belasten aber die Milz, weil sie sehr kühlend wirken und so die Milz in ihrer Fähigkeit der Transformation von Flüssigkeiten behindern. Daraus entwickelt sich wiederum eine Akkumulation von Feuchtigkeit bzw. Schleim. Damit wird ein Circulus vitiosus von Infekt – Antibiotika-Gabe – Re-Infekt in Gang gesetzt, der immer schwerer zu durchbrechen ist, je länger er schon besteht. Die ursprüngliche Erkrankung ist zwar geheilt, sie hinterlässt jedoch ein Ungleichgewicht gleich einem Echo der Ausgangserkrankung. Für westliche Mediziner mag dieses Konzept schwer verständlich sein, erklärt jedoch sehr gut, warum es immer wieder zu Rezidiven kommt.

Die Aufgaben der Lunge

Aus Sicht der Chinesischen Medizin hat die Lunge folgende Aufgaben zu erfüllen:

1. Sie reguliert das qi  und beherrscht die Atmung
2. Sie hat eine verteilende und absenkende Funktion
3. Sie reguliert die Bewegung des Wassers
4. Sie beherrscht die Körperoberfläche
5. Sie manifestiert sich in der Körperbehaarung, die Nase ist die Öffnung der Lunge

Im Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen interessieren vor allem die ersten beiden Aufgaben der Lunge.
• Sie reguliert qi
Die Lunge ist sowohl an der Bildung als auch an der Bewegung von qi beteiligt. zongqi unterstützt die Lunge in der Funktion, das qi im ganzen Körper in Bewegung zu halten. Ist die Lunge zu schwach und die Bildung bzw. Bewegung des qi beeinträchtigt, kommt es zu qi-Mangel in jedem beliebigen Körperareal.
• Sie beherrscht die Atmung
Das qi des Thorax, auch Brust-qi genannt, ist für die Bewegungsabläufe der Atmung und des Herzschlags zuständig und bewegt sowohl qi als auch Blut. Mit Hilfe des zongqi gelingt sowohl die Einatmung des reinen qi der Luft als auch die Ausatmung des unreinen qi. Bei harmonischer Funktion von zongqi und Lunge verläuft die Atmung gleichmäßig und regelmäßig, sind beide jedoch schwach oder blockiert, so wird die Atmung erschwert.

Da das zongqi sowohl die Lunge in ihrer Funktion unterstützt als auch das Herz reguliert, sind die Funktionen der Lunge und des Herzens, die Bewegung von qi und Blut eng miteinander verknüpft. Das zeigt sich auch an der Tatsache, dass qi das Blut bewegt und Blut das qi nährt. Die Teamarbeit der beiden Organe ist für eine harmonische Atmung äußerst wichtig. Störungen in diesem Zusammenspiel haben ernsthafte Konsequenzen für die Gesundheit des Menschen. Wenn qi und Blut im oberen Erwärmer stagnieren, so können Symptome der Dyspnoe, Stauungsbronchitis, Reizhusten und Asthma cardiale auftreten.
Eine Schwäche des Lungen-qi ist nahezu identisch mit einer allgemeinen qi-Schwäche. Die Störungen der Atmung – Kurzatmigkeit, Husten, Asthma – werden dadurch verursacht, dass die Lunge nicht mehr in der Lage ist, das qi abwärts zu den Nieren zu lenken. Die Atmung verläuft dann nicht mehr harmonisch, sondern das qi steigt unkontrolliert auf und verursacht Husten oder Asthma. Da eine qi-Schwäche mit einer yang-Schwäche eng zusammenhängt, gehen die vorgenannten Symptome oft mit reichlich klaren und flüssigen Sekretionen einher.

Die Lungen-qi-Leere äußert sich in folgenden Symptomen:
Durch Anstrengung verschlimmerte Kurzatmigkeit, flache Atmung, Asthma, klarer, dünner Auswurf, Müdigkeit, Blässe, leise Stimme, Schwitzen am Tage, verminderte Widerstandskraft. Außerdem kann eine Lungen-qi-Leere an Erkrankungen wie z.B. Bronchitis, Lungen-Emphysem, aber auch an banalen Erkältungen und Allergien beteiligt sein.  Der Puls ist dünn und leer, die Zunge ist blass mit einem dünnen weißen Belag.
Häufig findet sich die Lungen-qi-Leere mit anderen Mustern kombiniert.

So steht die Lunge – wie schon eingangs erwähnt – in einer engen Beziehung zur Milz. Ein klassischer Lehrsatz besagt, dass die Milz die Produktionsstätte von Schleim ist und die Lunge ihr Speicherhaus. Wenn die Lunge als die Herrscherin über das qi geschwächt ist, dann steht der Milz nicht genügend qi für die Umwandlung und den Transport von Feuchtigkeit zur Verfügung. Dies führt zu einer Ansammlung von Feuchtigkeit, die sich bei längerer Stagnation in Schleim umwandelt. Diese intensive wechselseitige Beziehung von Milz und Lunge setzt einen circulus vitiosus in Gang, denn schwaches Milz-qi beeinflusst die Umwandlung der Körperflüssigkeiten negativ und verhindert die adäquate Bildung von Lungen-qi. Das schwache Lungen-qi kann nicht genügend absenken, was die Stagnation von Feuchtigkeit und Schleim in der Lunge fördert. Schleim wiederum blockiert die Verteilung von qi im gesamten Atmungssystem, indem er die Lunge in ihrer Funktion des Verteilens und Absenkens behindert. Je länger diese Entwicklung von Schleim und deren Stagnation besteht, desto mehr entwickeln sich Hitzezeichen – es kommt zu einem heißen, zähen Schleim, der die Lungen blockiert.

Diese Pathogenese wird außerdem noch verstärkt durch wiederholte Antibiotika-Behandlungen, denn diese begünstigen – wie schon erwähnt –  ebenfalls die Entstehung von Schleim durch die Schwächung des qi der Milz. Auch die regelmäßige Anwendung von Asthma-Sprays verstärkt die Bildung von heißem Schleim in der Lunge. Die Behandlung ist angesichts der Chronizität und der Eigenschaft des Schleims zäh und langwierig. Sie muss – wie bei jeder anderen Behandlung auch – eine Veränderung von Lebens- und Speisegewohnheiten mit einschließen.
Die folgenden pathophysiologische Mechanismen tragen zu einer Verschlimmerung der Erkrankung bei:

• Mangelhafte Ernährung mit Hitze und Schleim bildenden Nahrungsmitteln
• Röntgenstrahlen erzeugen Hitze und verköcheln Feuchtigkeit zu Schleim
• Tabakgenuss erzeugt Hitze und Trockenheit und verköchelt Feuchtigkeit zu Schleim
• Bewegungsmangel
• Berufsbedingter Kontakt mit exogenen Noxen, welche Lungen-qi und Lungen-yin schädigen. z.B. Feinstäube, Asbest usw.

Weitere Symptome und Zeichen sind  in solchen Fällen Husten mit reichlich Sputum, dessen Farbe, abhängig von der vorhandenen Hitze von hell bis dunkelgelb, grün und braun reichen kann. Kurzatmigkeit, Völlegefühl in der Brust, Asthma. Der Puls ist schnell und  schlüpfrig, die Zunge sieht rot und evtl. rissig aus und weist einen dicken, klebrigen Zungenbelag auf, der je nach Hitzeentwicklung hell- bis dunkelgelb ist.

Die Therapie zielt darauf ab, vor allem die Mitte (Milz) zu stärken, damit eine Schleimbildung unterbunden wird und die Milz ihre Funktion der Transformation von Flüssigkeiten wieder besser erfüllen kann. Ist schon Schleim entstanden, so muss dieser ausgeleitet werden. In einem solchen Falle ist mit einer länger dauernden Therapie zu rechnen. 

Folgende Akupunkturpunkte werden eingesetzt (je nach Konstitution und Symptomen können natürlich noch weitere Akupunkturpunkte gewählt werden:

• Lu 9 (taiyuan): tonisiert Lungen-qi und Lungen-yin, transformiert Schleim, unterstützt die absenkende Funktion der Lunge
• Bl 13 (feishu): tonisiert qi und yin der Lunge, unterstützt die absenkende und verteilende Funktion des Lungen-qi
• Bl 12 (fengmen): unterstützt  die absenkende und verteilende Funktion des Lungen-qi, stärkt die Abwehrkraft
• Lu 7 (lieque): unterstützt die absenkende Funktion der Lunge, befreit die Oberfläche und leitet Wind aus
• Ren 17 (shanzhong): reguliert qi, senkt Lungen-qi ab, kräftigt Lunge und Herz
• Lu 1 (zhongfu): verteilt und senkt Lungen-qi ab, stoppt Husten
• Lu 2 (yunmen): verteilt und senkt Lungen-qi ab, erleichtert Husten und Atemnot
• Lu 6 (kongzui): senkt das Lungen-qi ab und verteilt es, klärt Hitze, befeuchtet die Lunge
• Lu 5 (chize): klärt Hitze der Lunge, senkt rebellierendes Lungen-qi, reguliert die Wasserwege
• Ma 36 (zusanli): tonisiert qi, nährt Blut und yin
• Ma 40 (fenglong): transformiert Feuchtigkeit und Schleim, unterstützt den Brustraum, klärt Schleim aus den Lungen, erleichtert Husten und Keuchen
• Ren 12 (zhongwan): stärkt die Körperflüssigkeiten über eine Stärkung des Magens
• Pe 6 (neiguan): öffnet die Brust, reguliert qi, klärt Hitze
• Mi 6 (sanyinjiao): löst Feuchtigkeit auf, tonisiert Milz und Magen, harmonisiert die Leber, unterstützt die Nieren, beruhigt den Geist
• Mi 9 (yinlingquan): reguliert Milz, löst Feuchtigkeit auf, öffnet die Wasserwege
• Gb 21 (jianjing): reguliert qi, senkt sehr stark qi ab,  transformiert Schleim.
Psyche und Soma

In der Philosophie der fünf Wandlungsphasen mit ihrem auf Analogien beruhenden Weltbild werden dem Funktionskreis Metall, zu dem die Lunge mit ihrem Partner Dickdarm gehört, außer diesen beiden Yin und Yang-Organen viele Bedeutungen zugeordnet: Herbst – Abend – Trockenheit – Traurigkeit, aber auch Eigenschaften wie das Setzen von Grenzen, Korrektheit, Pflichterfüllung.
Nun implizieren Herbst und Abend Abschiednehmen und Loslassen. Im Herbst nimmt man Abschied von der Fülle des Sommers, die Bäume lassen ihre Blätter fallen, der Gärtner schneidet die wuchernden Sträucher und Bäume. Es ist die Zeit der Konzentration auf das Wesentliche. Der Abend bedeutet Abschiednehmen vom Tag, seinen Ereignissen und Eindrücken, man kommt zur Ruhe, bevor man sich zum Schlaf hinlegt. Auch die Trockenheit gehört zum Herbst. Die Säfte, die den Pflanzen im Sommer ihr frisches und saftiges Aussehen verliehen, ziehen sich zurück, um sich für die neue Wachstumsperiode zu regenerieren. Zurück bleiben trockene Blätter und Äste.
Die Gesetze der Natur sind auch für den Menschen gültig. Der Herbst symbolisiert für den Menschen den Lebensabend. Für ihn ist es ebenfalls eine Zeit des Abschiednehmens. Nach den ausgefüllten Tagen in Beruf und Familie kommt die Zeit der Pensionierung und des Innehaltens. Die Kinder gehen aus dem Haus und eventuell sterben in dieser Zeit auch die eigenen Eltern. In dieser Phase ist man plötzlich auf sich zurückgeworfen, man ist gezwungen, seinem Leben einen neuen Sinn zu geben, muss sich von Menschen und Dingen trennen, bewerten, was noch dienlich ist und was man besser als unnötigen Ballast abwirft. Schmerzlich wird auch bewusst, dass es keine ewige Jugend gibt, und man muss am eigenen Leib die Zeichen des Alterns und der Trockenheit erkennen und akzeptieren. Die Haare werden dünner, die Zähne brüchig und schadhaft und die Knochen sind ebenfalls nicht mehr elastisch. Dieser Umdenkungs- und Neuorientierungsprozess verlangt vom Menschen geistige Klarheit und Mut. Gelingt diese innere Läuterung nicht ohne weiteres, so kommt es auch und gerade zu Störungen im Funktionskreis Metall mit seinen Organen Lunge und Dickdarm und den zuvor geschilderten Erkrankungen.

Nun beschränken sich Zeiten des Abschiednehmens und Loslassens nicht nur auf das Alter und den Lebensabend, sondern begegnen dem Menschen in jeder Phase des Lebens. Betrachtet man Körper und Seele als eine Einheit, wie dies in der Chinesischen Medizin der Fall ist, so ist eine gute Lungenfunktion natürlich auch abhängig davon, wie sehr das Loslassen und Grenzen setzen auf allen Ebenen des Lebens gelingt.   
Literatur:
Ross, Jeremy: Zang Fu, Die Organsysteme der traditionellen chinesischen Medizin,
ML Verlag, Uelzen, 1984
Scott, Julian, Barlow, Teresa: Akupunktur in der Behandlung von Kindern,
Verlag für Ganzheitliche Medizin, Kötzting, 2003
Lorenzen, Udo, Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der Chinesischen Medizin, Band 2, Verlag Müller & Steinicke, München, 1993

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